Hartmut Ganzke (SPD): Vielen Dank. — Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Ich habe in den Jahren 1985 bis 1992 Jura studiert und bin seit 22 Jahren selbstständiger Rechtsanwalt. Ich kann mich erinnern, dass uns in der Vorlesung „Grundrechte I“ der Professor damals gesagt hatte: Liebe Studentinnen und Studenten, passen Sie besonders auf, wenn es um irgendwelche Gesetze geht, mit denen Grundrechte eingeschränkt werden sollen! Da müssen Sie nämlich aufpassen, denn da passiert etwas mit Ihrer Verfassung.
Dieser Spruch des Professors damals — ich glaube, Bodo Pieroth hat damals Grundrechte gelehrt — ist richtig gewesen. Meines Erachtens ist es immer wichtig, wenn im Rahmen eines Gesetzentwurfes auch Grundrechte eingeschränkt werden sollen — und deshalb ist es wichtig, das aufzuführen —, genau hinzuschauen und intensiv darüber zu diskutieren.
Wenn jedoch durch einen Gesetzentwurf gleich sechs Grundrechte eingeschränkt werden sollen, muss man besonders genau hinsehen. Man muss deshalb besonders hinsehen, weil unter den einzuschränkenden Grundrechten in Ihrem Gesetzentwurf, Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, auch die Grundrechte aus Artikel 2 und aus Artikel 1 des Grundgesetzes — namentlich die Freiheit der Person und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit — eingeschränkt werden sollen.
(Zuruf von der AfD: Und das gilt auch für die Opfer!)
Gerade aus diesem Grunde kann es — und das hat auch Kollege Sieveke gerade gesagt — keine schnellen Entscheidungen und keine Änderungen eben mal so geben. Denn hier ist das Parlament gefordert und hier ist auch der Ausschuss gefordert, zu diskutieren, und zwar inhaltlich zu diskutieren.
Deshalb ist es richtig, dass wir den Gesetzentwurf gleich an den Innenausschuss und an den Rechtsausschuss verweisen, um dort inhaltlich zu diskutieren, und zwar intensiv über folgende Fragen: Wollen wir diese Grundrechte einschränken? Soll in Grundrechte eingegriffen werden, auch und gerade vor dem Hintergrund und dem Wissen, dass diese Grundrechte nicht nur für die einen oder für die anderen gelten, sondern insgesamt gelten und es auch Menschenrechte sind?
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Wenn es so einfach wäre — nehmen wir einmal das Instrument der Fußfessel oder das Instrument der Gefährderhaft —, solche gesetzlichen Grundlagen zu ändern oder neu einzuführen, dann würden sich nicht immer wieder das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit diesen Themen und auch mit Fragen der Präventivhaft befassen. Noch im Jahr 2016 hat es hierzu einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Linie, die es zu beachten gilt, damit die individuelle Freiheit jedes Menschen gewahrt wird und nicht unverhältnismäßig in diese Freiheit eingegriffen wird.
Deshalb möchte ich kurz daran erinnern, worum es in diesem Gesetzentwurf geht. In diesem Gesetzentwurf geht es um das Einsperren — manche sagen auch um das Wegsperren — von Menschen, und zwar ohne ein Urteil.
Es geht darüber hinaus. Es geht um das Einsperren und Wegsperren ohne ein gerichtliches Verfahren — ohne ein gerichtliches Verfahren! —, zwar mit Richtervorbehalt, das heißt, nur ein Richter darf die
Entscheidung treffen, aber ohne ein gerichtliches Verfahren, in dem einem Angeklagten alle Rechte aus der Strafprozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz zur Verfügung stehen und er diese Rechte wahrnehmen kann.
Aus diesem Grunde ist es noch wichtiger, darüber nachzudenken: Wie wollen wir mit diesen Rechten und mit diesen Pflichten umgehen?
(Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Ich möchte inhaltlich — das ist auch die Aufgabe von uns Parlamentariern — resümieren. Es geht um den Begriff der drohenden Gefahr. Die drohende Gefahr ist ein Gefahrbegriff, der noch nicht konkret definiert ist. Insoweit müssen sich die Anwender die Frage stellen: Könnte von dieser Person, um die es geht, in absehbarer Zukunft möglicherweise eine Gefahr ausgehen? Oder man muss sich auch die Frage stellen: Lässt das Verhalten dieser Person diese Vermutung zumindest als wahrscheinlich erscheinen?
Sie merken schon, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wie schwierig es ist, gerade in diesem Bereich einen Gefahrbegriff zu definieren, der auch dazu führt, dass jemand in seiner körperlichen Integrität bzw. in der Freiheit hinterher beeinträchtigt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben auch auf den Gesetzentwurf Bezug genommen, der in Bayern in diesem Jahr verabschiedet worden ist. In Bayern ist es nicht nur darum gegangen, mögliche Gefährder für drei Monate zu inhaftieren. Vielmehr ist in Bayern das Gesetz insoweit geändert worden, dass jeder Richter, jede Richterin diese Dreimonatsfrist immer wieder um weitere drei Monate verlängern kann. Das bedeutet, wenn man es zu Ende denkt, dass es möglich ist, jemanden ohne ein Gerichtsurteil und ohne ein rechtsstaatliches Verfahren über Jahre zu inhaftieren. Und das ist eine Frage, die wir im Innenausschuss und im Rechtsausschuss zu diskutieren haben. Schnellschüsse empfehlen sich hier nicht.
Wir als SPD-Fraktion werden natürlich der Überweisung zustimmen. —Vielen Dank.
(Beifall von Svenja Schulze [SPD])
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Ganzke, bevor Sie sich vom Rednerpult entfernen: Der Abgeordnete Wagner von der AfD wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Hartmut Ganzke (SPD): Ich lasse sie zu.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr, Herr Abgeordneter Wagner.
Markus Wagner (AfD): Herr Kollege, erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. Es ist ja mittlerweile selten
geworden, dass ich eine stellen darf. — Sie haben gerade zu Recht auf Bayern und das immer wieder mögliche Fortschreiben hingewiesen. Trifft es zu, dass die SPD sich dabei zumindest enthalten hat und jedenfalls nicht dagegengestimmt hat?
Hartmut Ganzke (SPD): Die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag hat sich enthalten. Das ist richtig.
(Markus Wagner [AfD]: Alles klar!)
— Alles klar. — Vielen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ganzke. — Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Lürbke das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Lürbke.